Staaten, die auf Religionen gründen, halten die Menschen im ewigen Kreislauf der Angst. (Raif Badawi),

Ensaf Haidar (EH), die Ehefrau des saudischen Bloggers Raif Badawi (RB), schildert in diesem bewegenden Buch ihr eigenes und das Schicksal ihres Ehemannes. Berührt hat mich insbesondere ihre Dankbarkeit Kanada gegenüber, einem Land, das ihr und ihren drei Kindern Asyl gewährte, um von dort für die Freiheit ihres Ehemannes kämpfen zu können.

Sie führte zusammen mit ihrem Mann in Saudi-Arabien ein durchaus verwöhntes Leben, von dem sie Abschied nehmen musste, um in selbstbewusster Eigenständigkeit jene Dinge zu unternehmen, die sie für die Freilassung ihres Mannes aktuell anwendet. Dies ist meilenweit entfernt von der bevormundenden Lebensführung, die sie in Saudi-Arabien hätte erdulden müssen. Dies bezieht sich allerdings weniger auf das Verhältnis zu ihrem Ehemann, sondern zu der saudischen Öffentlichkeit bzw. den Regeln, die noch nicht mal erlauben, dass eine Frau den Führerschein machen kann.

EH schildert die Etablierung des liberalen Blogs ihres Mannes und die große Leidenschaft, mit der er für eine Reformation seines Heimatlandes brannte. Sie schreibt zunächst unter einem Pseudonym für den Blog, wird dann aber von ihm aufgefordert, unter Klarnamen zu schreiben. Er ist stolz auf sie, beide eint eine tiefe, liebevolle Partnerschaft, bei der saudische Regeln einer gleichberechtigten Ehe weichen müssen.

Was geschieht mit jemand, der liberale, freiheitliche Rechte in einem Staat einfordert, der nur einen Gleichklang zwischen weltlicher und religiöser Macht kennt? EH schildert in diesem Buch alle Etappen einer Entwicklung, die heute für die Weltöffentlichkeit offen liegt, mit dieser Publikation in vielen Medien möchte man letzten Endes Druck auf Saudi Arabien ausüben. Zur Freilassung von RB, aber darüber hinaus auch darauf, dass in Saudi Arabien zivilisierte Gesetze eingeführt werden - ohne eine Übermacht der Religion.

Wir sind bei den spannenden Erzählung dabei, als RB eines Tages nach London reisen will, voller Vorfreude, um bei der Abreise feststellen zu müssen, dass er nicht aus dem Land darf, seine Konten eingefroren sind, er sich bei Gericht melden soll. Der Verdacht von EH auf den Auslöser dieser Aktionen fällt auf RB’s Vater, ein sadistischer Regent der eigenen Familie. Das saudische Vormundsystem bestimmt z.B. dass eine Frau, die sich scheiden lässt, wieder in die Obhut ihres Vaters zurückkehrt. Von einem Mann zum anderen also. Er darf fortan über sie bestimmen. Der Vater schlug nicht nur die Tochter, sondern auch das Kind der Tochter, ein Alptraum für jede Frau. Zudem ist RB’s Vater drogensüchtig und knöpft der Tochter, die als Kosmetikerin arbeitet, das komplette Geld ab. Immerhin, im relativ weltoffenen Dschidda gibt es ein Frauenhaus, in das die Tochter schließlich fliehen kann.

Der Vater von RB ist im Grunde nicht besonders religiös, aber er hat erkannt, dass sich hinter der Maske der Frömmigkeit gut gegen andere vorgehen lässt, er missbraucht den Islam für seine Zwecke. Sein Sohn hat innerhalb kürzester Zeit nach seiner versuchten Ausreise keine bürgerlichen Rechte mehr, es ist, als ob er nicht existiere. Wir erleben absurde Situationen und rechtliche Tatbestände, die uns den Atem stocken lassen. Die Schwester RB’s heiratet einen Anwalt, der hilft, gegen den Vater vorzugehen. Ihm wird die fortwährende Weigerung seiner Tochter die Heiratserlaubnis zu erteilen, vorgeworfen, er muss einlenken, die Tochter kann heiraten.

Wir sind mittendrin in dem öffentlichen Fernseh-Kampf eines Vaters, der den Islam benutzt, um zu unterdrücken. Der Vater tritt in ultrareligiösen TV Sendungen auf (der Kinnbart ist Zeichen der Salafisten) und darf formulieren, dass das Gehirn seines Sohnes falsch programmiert worden sei. Ein überaus verräterische Sprache, verlangt er doch, dass sein Sohne wieder zu Mohammed umprogrammiert werden solle. Er freue sich schon jetzt auf die Strafen, die seinen Sohn ereilen werden, öffentlich, wenn alle erkennen, welches Gedankengut aus seinem Sohn fließt. „Haben die Liberalen in Saudi-Arabien schon die Macht übernommen“, fragt der Vater und bekommt schließlich die Übermacht, sein Sohn wandert ins Gefängnis und wird öffentlich ausgepeitscht.

Ein spannendes Buch, bei dem man atemlos mitfiebert, obwohl man das Ende kennt. EH beschreibt ihre Aktionen und Aktivitäten aus Kanada und die Versuche, ihren Mann wieder frei zu bekommen. Sie legt die Mechanismen eines Landes offen, das keine Offenheit kennt, in dem Frauen nicht Auto fahren dürfen und so rechtlos sind wie der Koran das seit Jahrhunderten vorsieht. Liberaler, atheistischer Verräter - so lautete das Lieblingsdiffamierung des Vaters allen gegenüber, die es wagten, seine Autorität in Frage zu stellen.

En Passant erfahren wir, wieviele Menschen sich schon gegen eine Religion auflehnen, die sie nicht mehr ertragen können. Al-Kaschgari, der ebenfalls inhaftiert wurde, hatte getwittert in Richtung Mohammed: „Ich mag deinen Heiligenschein nicht, ich bete dich nicht an“. Der Vater RBs kontert und beschwört eine religiöse Tragödie: „Ich befinde mich in einem Kampf gegen die Liberalen. Und ich rufe jeden rechtgläubigen Muslim auf, mich dabei zu unterstützen.“

Die Kleriker Saudi-Arabiens wollen nichts anderes hören als „Ich höre und gehorche“, schreibt RB. Diese Theokraten habe die Macht, Fatwas nach Belieben auszusprechen. RB steht dem entgegen und fordert, dass Religion eine private Entscheidung sein muss, getrennt vom Staat, dieser baue auf eine Verfassung ohne Religion, die alle frei und gleichberechtigt nebeneinander her leben können müssten. Genau diese Forderung war zu viel für die Imame und es kam, wie es kommen musste, wir kennen die youtube Bilder von den Auspeitschungen RBs.

Säkularimus wird in Saudi Arabien gleichgesetzt mit Gottlosigkeit, schreibt EH. Dort sind Fatwas an der Tagesordnung, die den Tod für ketzerische Artikel fordern und RB wird schließlich als Murtad, als Abtrünniger vom Glauben bzw. Apostat diffamiert. Und dabei kommt jenes Grundlagenwerk ins Spiel, das alle Verteidigungen des Angeklagten nichtig machen, der Koran mit Sure 9, Vers 65 und 66: „Wenn du sie fragst, so sagen sie bestimmt: wir haben nur daher geredet getändelt. Sprich: habt ihr euch etwa lustig gemacht über Gott und seine Zeichen und seine Gesandten? Entschuldigt euch nicht! Unglaublich wurdet dir, nachdem er gläubig wart! Wenn wir einer Gruppe von euch verzeihen, werden wir eine andere dafür bestrafen, dass sie Missetäter war.“

Für RB wurde somit die Todesstrafe gefordert. Insgesamt 150 Kleriker hatten sich diesem vernichtenden Urteil angeschlossen und es im Internet unterzeichnet. Dies wiederum war ein Freibrief für religiöse Fanatiker: wer auch immer schlechte Gedanken gegen RB hegte oder ihm etwas antun wollte, wurde dadurch bereits im Vorfeld des Verbrechens geadelt. EH wusste, viele Radikalo-Salafisten würden es als Aufforderung zur Selbstjustiz verstehen.

Spannend und unerträglich nahegehend sind alle Zwischentöne und Aufklärungen in diesem Buch. Sie legen den Kampf offen eines liberalen, freiheitlich denkenden Menschen, der trotz westlicher Forderungen immer noch im Gefängnis sitzt und ausgepeitscht wird. Wir alle machen Geschäfte mit Saudi-Arabien und lassen zu, dass eine Religion sämtliche Menschenrechte mit Füßen tritt.

9. Oktober 2015 ( )

A moving account by Ensaf Haidar, wife of Raif Badawi, who is incarcerated in a Saudi prison, sentenced to 10 years and 1000 lashes for criticising the establishment online via his website. He is 33 and has been in prison for 5 years, with deteriorating health, while groups around the world rally for his release. Haidar has has since become a Canadian citizen with their 3 children. She is an outspoken campaigner for Raif's cause, and has spoken on various global platform including the EU, in her quest to get her husband released from prison. An important read. ( )