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Michael Hagner

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Warum Lesen: Mindestens 24 Gründe (Bibliothek Suhrkamp) (2020) — Contributeur — 8 exemplaires

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Ich bin aber froh, wenn andere Gutes schreiben. (Jacob Burkhardt),
Ich hatte von Anfang an einen E-book-reader und wollte damit bisherige, zu umfangreiche Mitnahmen auf Reisen ersetzen. Inzwischen verstaubt dieses Lesegerät in einem der Schränke auf dem Speicher. Warum ist das so? Bücher sind für mich lange Briefe von Autoren, mit denen ich mich unterhalten will: ich unterstreiche, schreibe an den Rand Anmerkungen, fertige Exzerpte und füge Fragen hinzu. D.h. Bücher sind für mich Freunde, denen ich den gleichen Respekt gegenüber zeige, wie wenn ich mit Freunden rede. Am besten überzeugt man andere, indem man ihnen zuhört. Für mich also sind Bücher, wie es Michael Hagner so treffend im Epilog von Susan Sontag zitiert, eine Art und Weise, ganz und gar Mensch zu sein. Sie sind ein gute Übung, anderen zuhören zu lernen, eine Fähigkeit, die heute fast niemand mehr besitzt.

Michael Hagner beschreibt in dieser lesenswert spannenden Publikation die Geschichte und die aktuellen Probleme des gedruckten Buches im Schnittfeld zu neuen Medien. Der Autor erkennt die Vorteile digitalen Lesens und wägt alles miteinander ab. In der Tat ist das E-Book ein Segen für viele und kann bestehende Nachteile vieler Zielgruppen minimieren. Die demokratische Auseinandersetzung mit Texten sowie die direkte Einflussnahme birgt Chancen, die wir alle noch nicht umfassend zur Kenntnis genommen haben. Tatsache ist, dass die digitale Schwester des Buches zu einer weiteren Popularisierung und Verbreitung des Bruders beigetragen hat. Ich lese inzwischen viele Texte digital an, um sie dann gedruckt wieder ausführlich erleben, durchdenken zu können.

Rilke konnte ausgeborgten Büchern nicht mehr als eine gewisse formelle Höflichkeit entgegenbringen. Seiner Meinung nach blieb man mit ihnen immer per SIE. Die enge Vertrautheit mit Ihnen führt dazu, sie mit eigenen Gedanken, Erinnerungen, Fantasien und Assoziationen zu versehen. Deswegen sind sie, wie Borges sagt, Erweiterungen des Geistes, also ein neuer Teil von uns selbst. Ähnlich bei mir, je intensiver ich mich mit einem Buch unterhalte, umso bunter, angekreuzter und vielfältiger wird es.

In gleicher Weise kann ich mich heute natürlich auch digital unterhalten und schreibe Anmerkungen oder Unterstreichungen in den Computer. Trotzdem fehlt dieser Arbeitsweise jene Einheit aus Material, Mitnahme, Haptik und Besitz, die ein Buch auszeichnet. Wir befinden uns beim Buch in unmittelbarer Berührung mit einem individuellen Gegenstand. 'Was diese Einheit von Inhalt und Materialität für die kognitiven Leidenschaften, das Gedächtnis und die Fantasie bedeutet, ist wenig erforscht, aber immerhin ist es unserer eigenen Erfahrung gut zugänglich.' (S. 242)

Ich besitze wenig bibliophil wertvolle Bücher, sondern idealerweise jene in meinem Wunschformat (12-13 cm Breite x 20-22 cm Höhe) mit genügend Raum zum Danebenschreiben. Dieses Buch hat mir zu wenig gliedernde Absätze und zu wenig Raum zum Gespräch (Reinschreiben). Es bringt die aktuelle Situation des Buches aber trotzdem im Schnittpunkt zu den neuen Medien bestens in den Vordergrund, der Autor verwendet in einigen Passagen zu viele Fremdworte, kann aber insgesamt mit einer durchdachten Analyse bestens erklären.

Foucault skizzierte, dass Bücher nicht durch sich selbst existieren, weil sie durch eine Vielzahl von Ideen, anderen Texten früher gewoben werden. Aber sie existieren für sich selbst, weil sie nicht von 1 Sekunde auf die andere gelöscht oder manipuliert werden können, und das macht ihre Eigentümlichkeit aus. Wie wahr - und dass Einzigartigkeit in zunehmenden Verwertungs- und Marketingprozessen bis zur Unkenntlichkeit diese Verzweigungen verleugnen und neu zeichnen wollen, wer hätte es nicht schon längst erkannt. Eine Vielzahl von Büchern besteht im Grunde oft aus über 90 % direkten und indirekten Zitaten, während die überraschend neue Erkenntnis zu wünschen übrig lässt (bis auf den Titel).

Der Tod des Buches wurde schon oft eingeläutet, allerdings läuteten diese Glocken alle zu früh. Michael Hagner weist nach, dass mit dem gedruckten Buch nach wie vor die Fantasie, Selbsttranszendenz, Glückseligkeit, Träume, Erinnerungen und Selbstbeobachtung ideal in Gang gesetzt werden. Dabei kann die digitale Variante dazu beitragen, das Original noch stärker und ausführlicher zu schätzen, mithin ein Gefühl zu entwickeln, ganz und gar Mensch zu sein. 'Deswegen benötigen wir immer wieder Bücher, deswegen vertraue ich Borges, wenn er es für unmöglich hält, dass die Bücher verschwinden." (Seite 245)

Bücher überzeugen, weil Gedanken, Argumente oder eine Geschichte auf eine spezifische Weise entwickelt werden. Viele kleine Teile fügen sich zu einem Ganzen. Es geht heute darum, das Internet zu nutzen, um bessere Texte zu schreiben, bessere Kompositionen und und stimmigere Entwürfe. Es ist keine neue Erkenntnis, dass ein Buch zu schreiben zu den schwierigsten Tätigkeiten überhaupt gehört. Jacob Burckhardt formulierte 1881: "Bücher schreibe ich keine mehr, es gibt deren ohnehin genug, und die Arbeit daran ist eine der größten Knechtschaften, die man bedenken kann." Im gleichen Brief lesen wir die in der Überschrift genannte Zeile: "Ich bin aber froh, wenn andere Gutes schreiben."

21. September 2015
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Clu98 | Mar 3, 2023 |

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